• Eltern behüten ihre Kinder zu häufig vor den Gefahren des Alltags. Stattdessen wäre zu lernen, damit gekonnt umzugehen
  • Zu häufiges Helfen und fehlende Regeln führen jedoch zu späterem Nichtkönnen
  • Kinder können nicht im Schongang auf ein eigenverantwortliches Leben vorbereitet werden.

Die Kinder von der Haustür bis zum Schultor chauffieren, ihre Hausaufgaben erledigen, ihnen häufig die Lieblingsspeisen servieren, sie in Watte hüllen, um ihnen behutsam alles auf dem Silbertablett zu servieren, das ist in unserer Gesellschaft zur Alltäglichkeit geworden. Besonders die sogenannten Helikopter-Eltern sind ständig mit ihrem „Ich mach das schon für dich.“, „Das wird zu schwer für dich sein.“ und „Wenn du nicht möchtest, brauchst du nicht.“ zur Stelle. Anders als sie vielleicht glauben, tun sie ihren Kindern damit gar keinen Gefallen.

Statt Konflikte zuzulassen, streben Eltern nach Harmonie

Überbehütung ist auf dem Vormarsch. Eltern fehlt heute immer öfter die Bereitschaft, Spannungen auszuhalten, die auf dem Weg zur Eigenständigkeit der Kinder ganz normal sind. Das Erlernen von Verantwortungs-Bewusstsein oder sozialem Verhalten wird von ihnen nur dann akzeptiert, wenn das eigene Kind dabei geschont wird. Ich habe schon Eltern erlebt, die ihre Kinder von einem Campingausflug der Schule abgeholt haben, weil Mitschülerinnen laut des eigenen Nachwuchses „doof“ seien. Statt also Konflikte und Entscheidungen der Kinder zuzulassen, streben Eltern nach Harmonie, meist aus  Bequemlichkeit. 

Je angespannter und nervenaufreibender der Lebensalltag ist, desto größer ist auch die Gefahr, dem eigenen Nachwuchs Dinge durchgehen zu lassen. Gefördert wird dies durch den elterlichen Narzissmus, der das eigene Fleisch und Blut – fast um jeden Preis – glücklich und erfolgreich sehen will. Denn dann sind sie selbst – so die Hoffnung – kompetente Eltern. 

Woher kommt die „Überforderung“

Das Ziel, alles auf einen super qualifizierten Berufsabschluss auszurichten, hat im Leben dieser Kinder meist eine zu starke Bedeutung. Dabei wird ausgeblendet, dass jedes Zuviel an Umsorgung ein Zuwenig an Eigenverantwortung zur Folge hat. Denn so wird die Fähigkeit des Durchhalten-Könnens und eines sozialen Miteinanders reduziert. Anstelle von Empathie wächst eine Mischung aus Apathie und Egoismus. Im realen Leben entsteht dann für die Kinder ein unerträglicher Druck. 

Die Fälle von überforderten 13- bis 18-jährigen Kindern nehmen stark zu, das beobachte ich auch in meiner Beratungspraxis. Auch die Zahl der Ausbildungs- bzw. Studien-Abbrecher in Höhe von ca. 30 % belegen, dass zu viele Jugendliche den Anforderungen des Lebens nicht standhalten. Den überbehüteten Prinzen und Prinzessinnen fehlt dann halt der umsorgende ‚Hofstaat’. In einer kleinen Auseinandersetzung mit anderen Kindern fühlen sie sich sofort angegriffen oder gemobbt und bei Leistungsanforderungen überfordert, weil Können und Ich-Stärke unterentwickelt sind. 

„Ich kann das nicht“ wird zum Leitsatz

Falsches oder zu häufiges Helfen, fehlende Regeln und Begrenzungen sowie ausbleibende Herausforderungen führen immer zu einem späteren Nichtkönnen und Versagen. Aber wie sollen sich Kinder auf die Herausforderungen des Lebens als Erwachsene in Beruf, Familie und Freizeit vorbereiten, wenn ihnen das notwendige Einübungsfeld verwehrt wird und sie kaum Konsequenzen – ob positive oder negative – erfahren? Wenn man Kindern zuviel abnimmt, eine dauernde Bedürfnis-Befriedigung im Zentrum steht, Wünsche zu einfach erfüllt werden und sie zu selten herausgefordert und in die Pflicht genommen werden, dann fehlt ihnen nachher das nötige Können und Selbstbewusstsein, um im Leben zu bestehen. „Ich kann das nicht“ wird dann zum Motto,  begleitet von übermäßigem Anspruchsdenken. 

Dabei geht es nicht um optimale Entwicklungs-Voraussetzungen der Kinder, sondern um das Wollen und Wohlbefinden der Eltern. Um die anstehenden Veränderungsschritte einzuleiten, ist jedoch eine kräftige Portion Selbstkritik und die Bereitschaft notwendig, sich zu ändern. Denn sie haben als Eltern den Auftrag, Ihre Kinder in ein eigenständiges Leben zu führen. Das ist nicht im Schongang erlernbar. Stehlen Sie den Kindern nicht ihre Probleme, denn sie brauchen Herausforderungen, um an ihnen zu wachsen! 

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Dr. Albert Wunsch
Dr. Albert Wunsch ist Psychologe und promovierter Erziehungswissenschaftler, Diplom Pädagoge und Diplom Sozialpädagoge. Bevor er 2004 eine Lehrtätigkeit an der Katholischen Hochschule NRW in Köln (Bereich Sozialwesen) begann, leitete er ca. 25 Jahre das Katholische Jugendamt in Neuss. Im Jahre 2013 begann er eine hauptamtliche Lehrtätigkeit an der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM) in Essen / Neuss. Außerdem hat er seit vielen Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf und arbeitet in eigener Praxis als Paar-, Erziehungs-, Lebens- und Konflikt-Berater sowie als Supervisor und Konflikt-Coach (DGSv). Er ist Vater von 2 Söhnen und Großvater von 3 Enkeltöchtern. Seine Bücher: Die Verwöhnungsfalle (auch in Korea und China erschienen), Abschied von der Spaßpädagogik, Boxenstopp für Paare und Mit mehr Selbst zum stabilen ICH - Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung, lösten ein starkes Medienecho aus und machten ihn im deutschen Sprachbereich sehr bekannt.